Sharpe 6 - Sharpes Aufstieg by Bernard Cornwell
Autor:Bernard Cornwell [Cornwell, Bernard]
Die sprache: deu
Format: epub
KAPITEL 10
Sie marschierten die ganze Nacht, stiegen immer höher hinauf und hatten dabei einen Wind im Gesicht, der die Kälte des Schnees in den Senken der unteren Hänge mit sich führte. Nach Mitternacht sah Sharpe von einem bewaldeten Vorsprung aus das ferne Glitzern des Meeres im Westen. Viel näher und unter ihm auf den dunklen Gefilden der Tiefebene verrieten fahle Lagerfeuer, wo Männer ihre Zelte aufgeschlagen hatten.
»Die Franzosen«, bemerkte Vivar leise.
»Die der Meinung waren, ich würde Sie nach Süden begleiten«, sagte Sharpe vorwurfsvoll.
»Später! Später!«, erwiderte Vivar, wie jedes Mal, wenn Sharpe versuchte, aus dem Spanier eine Erklärung für sein Verhalten herauszuholen.
Hinter Vivar schleppten sich die Rifles, gebeugt von der Last ihrer schweren Tornister, den Bergpfad herauf. Die Cazadores führten ihre Pferde, um die Kräfte der Tiere für die lange Reise zu bewahren, die vor ihnen lag. Nur die Verwundeten durften aufsitzen. Sogar Louisa Parker hatte sich damit abfinden müssen, zu Fuß zu gehen. Vivar, der das Mädchen vorbeigehen sah, wandte sich stirnrunzelnd an Sharpe.
»Ich lasse Sie zwei Tage allein, und Sie finden ein englisches Mädchen?«
Sharpe hörte die Abneigung des Spaniers heraus und beschloss, mit Sanftmut zu antworten. »Sie ist ihrer Tante und ihrem Onkel davongelaufen.«
Vivar spuckte den Hang hinab. »Von denen habe ich schon gehört. Die Parkers, nicht wahr? Sie nennen sich Missionare, aber ich nenne sie englische Wichtigtuer. Man hat mir erzählt, der Bischof habe sie aus Santiago de Compostela vertreiben wollen, ich sehe jedoch, dass uns die Franzosen bereits den Gefallen getan haben. Warum ist sie davongelaufen?«
»Ich glaube, sie ist auf Abenteuer aus.«
»Das können wir ihr bieten«, sagte Vivar säuerlich, »aber ich war noch nie der Meinung, dass Soldaten die richtige Gesellschaft für ein junges Mädchen sind, nicht einmal für ein protestantisches junges Mädchen.«
»Soll ich sie erschießen?«, erbot sich Sharpe gehässig.
Vivar wandte sich wieder dem Pfad zu. »Das besorge ich schon selbst, Lieutenant, wenn sie irgendwelche Schwierigkeiten macht. Wir haben unsere eigene Mission, und die darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.«
»Was für eine Mission?«
»Später! Später!«
Sie kletterten immer höher, verließen den Schutz der Bäume und erreichten einen windigen Abhang mit spärlichem Gras und ausgehöhlten Felsbrocken. Die Nacht war dunkel, doch die Kavalleristen kannten sich aus. Sie überquerten ein Gebirgstal, durchwateten einen Wasserlauf und setzten ihren Aufstieg fort.
»Ich bin unterwegs«, sagte Vivar, »an einen fernen Ort. Irgendwohin, wo uns die Franzosen nichts anhaben können.« Sie gingen schweigend ein paar Schritte weiter. »Sie sind also Tomas begegnet?«
Sharpe spürte, dass es Vivar sehr schwerfiel, diese Frage beiläufig zu stellen. Er versuchte, seine Antwort ebenso gleichmütig klingen zu lassen. »So heißt also Ihr Bruder?«
»Wenn er mein Bruder ist. Ich kann einen Verräter nicht zu meinen Brüdern zählen.« Vivar machte nun keinen Hehl mehr aus seiner Scham und Erbitterung. Er war bisher nicht bereit gewesen, über den Grafen von Mouromorto zu sprechen, aber das ließ sich auf Dauer nicht totschweigen. Sharpe hatte den Grafen kennengelernt, und das bedurfte einer Erklärung. »Wie ist er Ihnen vorgekommen?«
»Wütend«, lautete Sharpes unzulängliche Beschreibung.
»Wütend? Schämen sollte er sich. Er glaubt, es sei Spaniens einzige Hoffnung, sich mit Frankreich zu verbünden.
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